Das Schweigen der Jurastudenten

Eine hier vor ein paar Jahren durchgeführte Umfrage unter Jurastudenten hat ergeben, dass die weit überwiegende Mehrheit Vorlesungen im Stil eines Frontalunterrichts ohne Beteiligung der Zuhörer bevorzugt. Das ist verständlich, weil der 90-minütige Monolog des Professors den Studenten Gelegenheit gibt, E-Mails zu schreiben, SMS zu verschicken, die Zeitung zu lesen, mit dem Nachbarn die Erlebnisse des Wochenendes zu besprechen, Youtube auf neue lustige Filme zu kontrollieren, Blogs zu lesen oder ein wenig Schlaf nachzuholen. Unbeliebt sind daher vielfach solche Professoren, die nicht nur die Chuzpe haben, Fragen zu stellen, sondern sich auch nicht schämen, Zuhörer zu einer Antwort aufzufordern, die sich gar nicht gemeldet haben. Das kann zu dramatischen Szenen führen. In meiner Studienzeit war ich während einer BGB-Vorlesung  Zeuge eines Wortgefechts zwischen einem Professor und einem Studenten, der auf die gestellte Frage partout nicht antworten wollte und dies auch freimütig bekannte. Nachdem auf die Aufforderung des Professors „Sie antworten jetzt auf die Frage, oder ich gehe. Sie oder ich!“ nur ein verneinendes Kopfschütteln zu vernehmen war, war die Vorlesung nach etwa der Hälfte der Zeit zu Ende.

Die passive Haltung in Vorlesungen kommt zwar manchem zum Monolog neigenden Professor entgegen, doch ganz überwiegend wird eine aktive Mitarbeit gewünscht. Vor allem aber ist die Beteiligung an der Vorlesung für die Studenten wichtig und leistungsfördernd. Die Gründe, die für eine Mitarbeit in Vorlesungen sprechen, hat Robert M. Lloyd, Professor am University of Tennessee College of Law in dem kurzen, aber wirklich sehr lesenswerten Essay

Why Every Law Student Should Be a Gunner

im Arizona State Law Journal (40 Ariz. St. L.J. 1343 [2008], Online-Fassung) zusammengetragen. Die vorangestellte Einschätzung über die Verhältnisse in juristischen Vorlesungen trifft nach meinem Dafürhalten ebenso wie die nachfolgend genannten Gründe auch für die deutschen Universitäten zu:

In most law schools, students have created a social system that discourages volunteering in class. The stupid, the lazy, and the timid have joined together to undermine the very thing that makes law school special. Here are six reasons you should fight back.

Dafür gibt es sechs Gründe:

Volunteering in Class Will Make You A Pariah Among Your Classmates

You’ll Learn the Material Better

You’ll Help Your Classmates Learn

It’s Fun

It’s Good Practice For What You’ll Be Doing As A Lawyer

It Will Get You A Job

Schadensersatz für Spenderniere wegen Ehescheidung?

Das Scheidungsdrama zwischen dem Gefäßchirurg Dr. Richard Batista und seiner Ehefrau Dawnell aus dem US-Bundesstaat New York erreichte im Januar dieses Jahres auch die deutschsprachige Presse. So berichtete etwa die Bild-Zeitung unter der Schlagzeile

Ehemann verlangt 1,5 Millionen für gespendete Niere
Geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen…

über den Fall. Herr Batista hatte seiner Ehefrau 2001 eine Niere gespendet, doch 2005 reichte diese die Scheidung ein.  Im Rahmen der Auseinandersetzung der Ehe verlangt der Ehemann Rückgabe der Niere bzw. 1,5 Million US-Dollar Schadensersatz. Er beantragte deshalb Anfang dieses Jahres eine Verfahrensunterbrechung und die Bestellung eines Sachverständigen, um den  geltend gemachte Wert des Organs unter Beweis zu stellen. Erfolglos, wie The National Law Journal berichtet. Jeffrey Grob, der mit der Sache beauftrage Anhörungsrichter am Supreme Court des Staats New York im Nassau County (trotz des Namens in diesem Bundesstaat nur die Eingangsinstanz), wies den Antrag zurück.

Zwar gebe es Präzedenzfälle, denen zufolge Geschenke, die während der Ehe gemacht wurden, in den vermögensrechtlichen Ausgleich einzubeziehen sind. Die Anwendung dieser Regel auf die Spende eines Organs verstoße jedoch gegen die öffentliche Ordnung. Denn ein New Yorker Gesetz (§ 4307 Public Health Law) verbiete Verkauf, Erwerb sowie jede andere Form der Übertragung eines menschlichen Organs gegen Entgelt.

Thus, the defendant’s effort to pursue und extract „monetary compensation therefor“ […] not only runs afoul of statutory proscription, but, conceivably, may expose the defendant to criminal prosecution thereunder.

Doch noch muss der Organspender den Mut nicht sinken lassen. Zwar wurde sein Antrag auf Bestellung eines Sachverständigen ebenfalls zurückgewiesen (überwiegend aus Verspätungsgründen). Damit sei ihm zwar die Möglichkeit genommen, den Marktwert der gespendeten Niere unter Beweis zu stellen. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die vom Ehemann erbrachten Opfer, seine Großzügigkeit und seine Hingabe nicht relevant seien.

That the defendant may not proffer the economic proof he seeks to adduce, however, does not suggest that the sacrifices, magnanimity and devotion, which arguably and logically attend, are beyond the pale or lack relevancy …

Immaterieller Schadensersatz scheint danach nicht ausgeschlossen. Ob die Zwischenentscheidung allerdings gleich einen „complete victory“ darstellt, wie der Rechtsanwalt des Ehemanns lt. The National Law Journal kundzutun nicht unterließ, mag dahinstehen.

Im deutschen Recht wäre wohl an ehebedingte Zuwendungen zu denken, sofern man einer gespendeten Niere Vermögenswert zurechnen will. Das dürfte freilich mit Blick auf § 17 Abs. 1 S. 1 TPG problematisch sein:

Es ist verboten, mit Organen oder Geweben, die einer Heilbehandlung eines anderen zu dienen bestimmt sind, Handel zu treiben.

Eigentlich ein prüfungsgeeigneter Fall…

Nachtrag zu den verstärkenden Ausdrücken

Kleiner Nachtrag zu „Verstärkende Ausdrücke gehören unzweifelhaft nicht in juristische Texte – oder doch?

Quelle: Courtoons.

Klage auf Anerkennung der Unabhängigkeit der Vampyre Nation

Unabhängigkeitsbestrebungen gibt es überall auf der Welt und die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker eine Sezession zulässt, ist unter Völkerrechtlern umstritten. Hierzu wird nunmehr auch der U.S. District Court – District of Minnesota Stellung nehmen können.

Am 20. Februar hat der Jonathon Sharkey in seiner Eigenschaft als König der Vampyre Nation einen „Complaint for Sovereignty“ gegen die USA eingereicht, wie das Blog Above the Law berichtet. Die ebenfalls dort zu findende 11-seitige Klageschrift liest sich flott weg. Der Kläger, eigenem Bekunden nach ein „Sanguarian Vampire“ (bluttrinkender Vampir) und „Hekate Witch“ (Hexe der Hekate) hat in seiner Eigenschaft als König der Vampyre Nation schon am 18.  August 2008 in einem Schreiben an den damaligen Präsident George W. Bush die Unabhängigkeitserklärung der Vampyre Nation zusammen mit deren Verfassung übersandt. Die Vampyre Nation (VN) verfügt bereits über einen ansehnlichen Hofstaat, u.a. eine Premierministerin, eine Botschafterin, eine Justizministerin und eine UN-Botschafterin. An der Seite des Königs thront seine Ehefrau, Königin Amaya, deren Zukunft lt. Klageschrift allerdings nicht besonders rosig ist:

[…] Queen Amaya – Jonathon’s wife who unfortunately has committed several crimes against the VN (High Treason, Treason, Murder of a member of the Royal Family…,  as well as violated several of the Vampyre laws and is scheduled to be tried shortly for her crimes. Upon being found guilty, she will be executed in accordance to Vampyre Law).

Aufschlussreich ist die Liste der Präzedenzfälle. Verwiesen wird auf die Unabhängigkeitserklärung der USA, die Anerkennung des Kosovo als selbständiger Staat, die Unabhängigkeitserklärung Abchasiens von Georgien und die Indianer, denen die USA eigenes Land und eine eigene Regierung zugestanden hätten.

Der Kläger wirft den USA eine Verletzung der Menschen- bzw. Bürgerrechte vor. Denn schon seit 1692, als Massachusetts noch eine Kolonie war, seien jene, die Hexerei betrieben, dauerhaft angegriffen und in Furcht versetzt worden. Als Beispiel verweist der Kläger auf einen Zwischenfall im August 2007, als ihm vorgeworfen worden sei, eine Frau belästigt zu haben. Dabei habe die Strafverfolgungsbehörde nicht berücksichtigt, dass es sich bei dem angeblichen Opfer um eine Vampirjägerin gehandelt habe. Als einer der bekanntesten und berühmtesten Vampire sei der Kläger schon mehrfach von Vampirjägern angegriffen worden. Ein weiteres Beispiel bilde die fristlose Entlassung seiner damaligen Pagan-Ehefrau, nachdem der Kläger seine Kandidatur für den Posten des Gouverneurs von Minnesota angekündigt habe.

There are hundreds, of not thousands of unlawful and Civil/Human Rights violations committed by the U.S. upon civilians of the VN.

Die engstirnige Verweigerungshaltung der US-Regierung kann lt. Klageschrift schwerwiegende Folgen haben. Schon nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776 sei ein Krieg ausgebrochen und die USA hätten Hilfe bei Alliierten gesucht. Dieses Recht wie auch das Recht, den Krieg zu erklären, behalte sich auch die Vampyre Nation in ihrer Unabhängigkeitserklärung vor. Wie die Gründungsväter der USA habe die VN das Recht, Hilfe und Unterstützung bei ihren Alliierten, Russland und Staaten, die die USA hassen, zu suchen, wenn die USA sich weigerten, die Unabhängigkeit anzuerkennen. Warnend fährt die Klageschrift fort:

The U.S. cannot categorize such a military action as an act of terrorism for history has shown many countries to include the U.S. had to win their independence through military strength.

Russia has a history of going after territories it wants. Hence, the VN has the international precedence by Russia (and other countries) to acquire land by purchase or military force.

Like Russia, Jonathon and the VN fully believe that amassing military strength or using violence helps restore self-respect and honour.

Vom Präsidentenwechsel erhofft der Kläger sich wenig:

Obama is of muslim faith;

Muslims are sworn enemies of Vampyres, Satanists, Witches and other Kins;

Muslims and Vampyrs have been at war with each other for centuries;

With the fact Obama being of the Muslim faith, neither Jonathan nor the VN expects any better protection for our people’s rights.

Der Kläger beantragt daher:

  1. Die USA erkennen die Unabhängigkeit der VN an.
  2. Die USA unterzeichnen eine Vereinbarung, in der sie sich verpflichten, sich nicht in die Angelegenheiten der Vampyre Nation einzumischen.
  3. Die USA unterstützen die Aufnahme der Vampyre Nation in die Vereinten Nationen und die NATO.
  4. Die USA geben der Vampyre Nation große Landteile im Bundesstaat Minnesota.
  5. Die USA stellen der Vampyre Nation eine große Geldsumme (mehrere 100 Millionen US-Dollar) zur Verfügung, wie es auch bei anderen Staaten geschehen ist.

Ich bin weder Völker- noch Verfassungsrechtler, aber mein Gefühl sagt mir, dass für diese Klage nach deutschen Recht keine Prozesskostenhilfe zu erlangen wäre.

Schutz der Privatsphäre v. Pressefreiheit im Vereinigten Königreich

Im März vergangenen Jahres wartete die britische Boulevardzeitung News of the World mit der Schlagzeile „F1 BOSS HAS SICK NAZI ORGY WITH 5 HOOKERS“ auf und zeigte Bilder aus einem BDSM-Sexvideo, das den Präsidenten der FIA, Max Mosley, bei sexuellen Aktivitäten mit mehreren Prostituierten zeigt, die angeblich Nazi- bzw. KZ-Uniformen trugen. Das Video kam auf Veranlassung der News of the World zustande, die eine der Prostituierten mit einer Kamera ausgestattet hatte. In einem sich anschließenden zivilrechtlichen Verfahren vor dem High Court of Justice wegen Verletzung der Privatsphäre kam Justice Edge zu folgendem Schluss:

I found that there was no evidence that the gathering on 28 March 2008 was intended to be an enactment of Nazi behaviour or adoption of any of its attitudes. Nor was it in fact. I see no genuine basis at all for the suggestion that the participants mocked the victims of the Holocaust.

There was bondage, beating and domination which seem to be typical of S and M behaviour. But there was no public interest or other justification for the clandestine recording, for the publication of the resulting information and still photographs, or for the placing of the video extracts on the News of the World website – all of this on a massive scale. Of course, I accept that such behaviour is viewed by some people with distaste and moral disapproval, but in the light of modern rights-based jurisprudence that does not provide any justification for the intrusion on the personal privacy of the Claimant.

Mosley wurde Schadensersatz in Höhe von £60.000 zugesprochen. In Deutschland, wo Teile der Presse in gewohnter Manier die Vorwürfe der News of the World ungeprüft übernommen hatten, sind ebenso wie in Frankreich noch Zivil- und Strafverfahren anhängig.

Der Fall wirft ein bezeichnendes Licht sowohl auf die deutsche wie die britische Presseszene. Indessen zeigen schon die Schlagzeile und die im Urteil näher geschilderten Einzelheiten der Berichterstattung in der News of the World die bekannten Unterschiede hinsichtlich der journalistischen Maßstäbe im Vereinigten Königreich und in Deutschland. Diese Unterschiede resultieren auch aus unterschiedlichen Vorstellungen hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre und ihrer Gewichtung im Hinblick auf die Pressefreiheit.

Die traditionell besonders stark ausgeprägte Pressefreiheit in Großbritannien und der eher schwach entwickelte Schutz der Privatsphäre stehen allerdings auf dem Prüfstand, denn Mosley hat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unter Berufung auf Art. 8 EMRK Klage gegen das Vereinigte Königreich erhoben. Die möglichen Auswirkungen einer stattgebenden Entscheidung des EGMR beleuchtet die neueste Ausgabe der auf BBC Radio 4 ausgestrahlten Serie Law in Action. Die sehr hörenswerte Folge ist auch als Podcast erhältlich (Direktlink, iTunes), freilich nur noch bis zum 23. Februar, denn die BBC stellt Podcasts nur für sieben Tage zur Verfügung. Zu Wort kommen Max Mosley selbst, der Journalist Ian Hislop und die auf Medienrecht spezialisierte Rechtsanwältin Amali de Silva. Einen kurzen Telefonbeitrag mit Blick auf die in Deutschland anhängigen Verfahren steuert der Hamburger Rechtsanwalt Dr. Roger Mann bei.