Bevorstehende examensrelevante BGH-Entscheidungen

Aus der Pressemitteilung des BGH vom 30.1.2009 über bevorstehende Entscheidungen der nächsten Monate dürfte den folgenden zivilrechtlichen Fällen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)  im Hinblick auf das Examen besondere Bedeutung beikommen (ggf. auch schon vor den jeweiligen BGH-Entscheidungen):

1. VIII ZR 191/07 (Verhandlungstermin: 18. Februar 2009):  Gekauft war im November 2004 ein drei Jahres altes Mercedes CLK Cabrio für 32,900 €. Der Käufer zahlte 5.000 € an und sollte den Restkaufpreis bis März 2005 zahlen. Der Wagen verblieb auf dem Betriebsgelände des Verkäufers, wo er Ende Februar 2005 zerkratzt wurde. Daraufhin erklärte der Käufer ohne Fristsetzung den Rücktritt und verlangt nun Rückzahlung der Anzahlung.

Da noch kein Gefahrübergang vorlag, bestimmt sich die Frage des Rücktritts nach allgemeinem Leistungsstörungsrecht. Ohne Fristsetzung ist dies nach §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 1 BGB möglich, wenn ein Fall von Unmöglichkeit vorliegt. Kann der Mangel hingegen beseitigt werden (z.B. durch Neulackierung), dann wäre der Rücktritt nur wirksam, wenn eine Fristsetzung nach § 323 Abs. 2 BGB entbehrlich war. Da die Norm ersichtlich nicht einschlägig ist, kommt es für die Fallentscheidung also auf die Frage der Unmöglichkeit an.  Die Vorinstanz (OLG München, Urt. v. 13.6.2007 – 20 U 5646/06) hat dies bejaht, weil es sich um einen Stückkauf gehandelt habe: Der Verkäufer schulde einen durch speziellen Gebrauch und spezielle Abnutzung individualisierten Gebrauchtwagen.  Hierzu gehörte auch die zerstörte Originallackierung.

2. VIII ZR 160/08 (Verhandlungstermin: 4. März 2009): Verkauft war ein Opel Zafira 1.9 CtDI mit Dieselpartikelfilter. Doch schon bald nach der Übergabe des überwiegend im Kurzstreckenbetrieb eingesetzten Fahrzeugs kam es wiederholt zu Störungen, die überwiegend auf einer Verstopfung des Partikelfilters beruhten. Ein Sachverständigengutachten ergab, dass der Partikelfilter für einen überwiegenden Kurzstreckeneinsatz nicht geeignet ist, da für die Regeneration des Partikelfilters eine erhöhte Abgastemperatur erforderlich ist. Dies gilt freilich nicht nur für den von Opel verwendeten Filter, da die gleiche Technologie auch von anderen Fahrzeugherstellern verwendet wird. Auch dort seien, so der Sachverständige, Probleme mit dem Kurzstreckenbetrieb bekannt.  Ferner verfüge derzeit kein Hersteller über eine Lösung, welche den Dieselmotor mit Partikelfilter uneingeschränkt als kurzstreckenfähig erscheinen lasse. Der Käufer verlangt nach Rücktritt vom Kaufvertrag Rückzahlung des Kaufpreises.

Kernproblem des Falles ist die Frage, ob ein Sachmangel i.S.d. § 434 Abs. 1 BGB vorliegt. Da wohl keine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen wurde und auch die Verwendung im Kurzstreckenbetrieb nicht nach dem Vortrag vorausgesetzt war, kommt es darauf an, ob das Fahrzeug sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und die  Beschaffenheit aufweist, die für Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB). Während die Eignung zur gewöhnlichen Verwendung leicht verneint werden kann, tauchen bei der Frage der Beschaffenheitsabweichung jedoch Probleme auf. Nimmt man als Vergleichsmaßstab Dieselfahrzeuge mit Partikelfilter, so weist der verkaufte Opel Zafira die Beschaffenheit auf, die bei Sachen gleicher Art (andere Opel Zafira mit Partikelfilter ebenso wie Dieselfahrzeuge anderer Hersteller mit Filter) üblich ist. Die Vorinstanz (OLG Stuttgart, Urt. v. 4.4.2008 – 3 U 236/07; u.a. NJW-RR 2008, 1077; ZGS 2008, 439) hat indessen darauf abgestellt, inwieweit Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor generell für den überwiegenden Kurzstreckenbetrieb geeignet sind. Es bestehe bei einem solchen Vergleich kein Zweifel daran, dass ein durchschnittlicher Verbraucher ohne weitere Hinweise seitens der Kfz-Hersteller oder Händler davon ausgehen könne, dass ein Fahrzeug mit Dieselmotor – ebenso wie ein solches mit Benzinmotor – grundsätzlich ohne technische Probleme im Kurzstreckenbetrieb uneingeschränkt verwendbar sei.

3. VI ZR 39/08 (Verhandlungstermin: 10. März 2009): Als der Ehemann und Vater der Kläger starke Schmerzen im Oberkörper verspürte, rief seine Ehefrau in der Arztpraxis von A und B an, erreicht dort aber nur den Anrufbeantworter, der sie an den ärztlichen Notfalldienst verweist. Nachdem die Ehefrau sich an diesen gewandt hatte, erschien der Arzt Z beim Ehemann und verabreichte ihm ein Medikament. Den Rat des Z, am nächsten Morgen einen Arzt aufzusuchen, befolgte der Ehemann nicht. Vielmehr erlitt er am Nachmittag des Folgetages einen tödlich verlaufenden Herzinfarkt. Die Kläger verlangen nicht nur von Z, sondern auch von A und B Schadensersatz.

Der Fall ist zwar vorrangig arztrechtlicher Natur, für Examenskandidaten aber gleichwohl interessant, weil es um die Haftung von A und B für einen Schaden geht, der durch einen Dritten (Z) verursacht worden ist. Abgesehen von der nach dem mitgeteilten Sachverhalt nicht zu beantwortenden Frage, ob und zwischen wem ein Behandlungsvertrag zustande gekommen ist (oder ob ein solcher bereits zum Zeitpunkt des Anrufs bestand), geht es im Rahmen der deliktischen Haftung (§§ 823 Abs. 1, 844 Abs. 2 S. 1 BGB) um die Frage, ob es sich bei Z um einen Verrichtungsgehilfen von A und B handelt (§ 831 Abs. 1 S. 1 BGB). Dies hatte die Vorinstanz (OLG München, Urt. v. 14.1.2008 – 5 U 119/07 bejaht); ebenso wie die Frage der Erfüllungsgehilfeneigenschaft des Z (§ 278 S. 1 BGB).

4. VIII ZR 149/08 (Verkündungstermin: 18. März 2009): Am 20. Januar 2007 schloss der Kläger mit der Beklagten, einem Strom- und Gasversorgungsunternehmen, einen Vertrag über die Belieferung mit Strom und Gas ab dem 1. März 2007. Am 27. Januar widerruf der Kläger seine auf den Abschluss des Vertrages gerichtete Willenserklärung. Liegt ein wirksamer Vertrag vor?

Fraglich ist hier, ob der abgeschlossene Vertrag durch den Widerruf gem. § 355 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam geworden ist.  Das dafür notwendige Widerrufsrecht könnte sich aus § 312d Abs. 1 S. 1 BGB ergeben. Das setzt einerseits voraus, dass es sich um einen Fernabsatzvertrag nach § 312b Abs. 1 S. 1 BGB handelte, was offenbar der Fall war. Andererseits dürfte das Widerrufsrecht nicht ausgeschlossen sein. Die Beklagte beruft sich hier auf § 312d abs. 1 Nr. 1 BGB. Die Vorinstanz (LG Aachen, Urt. v. 16.5.2008 – 5 S 233/07) hat diesen Ausschlussgrund bejaht, weil die über den Versorger zugeleiteten Strom- und Gasmengen auf Grund ihrer Beschaffenheit nicht für eine Rücksendung geeignet seien, da  sie zwingend und zwangsläufig unmittelbar nach Zuleitung an den Verbraucher in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr vorhanden seien.

5. V ZR 30/08 (Verhandlungstermin: 27. März 2009): V hat mit notariellem Vertrag vom 4. Oktober 2006 ein mit einem Wohngebäude bebautes Grundstück an K verkauft. Bei dem 1980 erbauten Fertighaus sind in der Außenfassade Asbestzementtafeln verarbeitet worden. Obwohl V wegen dieser Asbestverkleidung bereits zuvor einen Kaufinteressenten verloren hatte, wies er K nicht auf die Asbestbelastung der Außenfassade hin. K verlangt nun von V Schadensersatz in Höhe der Kosten der Asbestsanierung.

Der Schadensersatzanspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 Abs. 1 BGB setzt eine schuldhafte Pflichtverletzung voraus. Diese könnte darin liegen, dass V die Asbestbelastung verschwiegen hat, obwohl er wusste, dass andere Kaufinteressenten gerade deswegen von einem Kauf abgesehen hatten. Dies setzt aber voraus, dass es sich bei der Asbestbelastung überhaupt um einen offenbarungspflichtigen Sachmangel handelt. Die Vorinstanz (OLG Celle, Urt. v. 7.2.2008 – 8 U 207/07) hatte das verneint, weil zum Zeitpunkt der Errichtung des Hauses die Verwendung von Asbestzementplatten üblich war. Aufgeworfen ist damit die Frage, ob eine Sache allein deshalb mangelhaft sein kann, weil sie eine Beschaffenheit aufweist, die aus heutiger Sicht nicht mehr üblich ist. Allgemeiner gesagt: Wird eine Sache im Laufe der Zeit dadurch mangelhaft, weil ihre ursprüngliche, weiterhin vorhandene Beschaffenheit heute, d.h. zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs, nicht mehr üblich ist? Neben einen gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzanspruch kommt allerdings auch noch ein solcher aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB in Betracht. Ein vorvertragliches Schuldverhältnis liegt ebenso vor wie die Verletzung einer Schutzpflicht durch Verschweigen eines Umstands, der ersichtlich Bedeutung für die Kaufentscheidung hat. Gegenstand der Verschweigens war allerdings die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes und für Beschaffenheitsmängel kennt das Kaufrecht mit den §§ 434 ff. BGB eine Spezialregelung, die ab Gefahrübergang eingreift. Fraglich und überaus umstritten ist daher, ob falsche Informationen über die Beschaffenheit der Kaufsache oder das Verschweigen bestimmter Beschaffenheitsmerkmale vorvertragliche Pflichtverletzungen sind, die einen Schadensersatzanspruch auslösen oder ob diese durch das Kaufgewährleistungsrecht verdrängt werden (für ersteres z.B. MünchKomm-Emmerich, § 311 Rn. 143, für letzteres Palandt-Grüneberg, § 311 Rn. 13). Die Rechtsprechung zum alten Recht hatte zur Abgrenzung darauf abgestellt, ob es sich um eine zusicherungsfähige Eigenschaft handelt. Nachdem dieses Merkmal weggefallen ist, wird der BGH Gelegenheit haben, zur Abgrenzung von vorvertraglichem Verschulden und Sachmängelgewährleistung nach neuem Recht Stellung zu nehmen. Hochgradig examensverdächtig!

6. Ferner interessant: V ZR 144/08 (Verhandlungstermin: 5. Juni 2009): Ist der Eigentümer und Besitzer eines Parkplatzes, der erkennbar nur zu Einkaufszwecken benutzt werden darf, im Rahmen der Selbsthilfe nach § 859 Abs. 1, 3 BGB befugt, einen widerrechtlich geparktes Fahrzeug kostenpflichtig abschleppen zu lassen?

7. Im Auge behalten:

  • Vorlagebeschluss des BGH vom 1.10.2008 – VIII ZR 268/07 (u.a. NJW 2009, 76):  Sind die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Kosten der Zusendung der Waren auch dann dem Verbraucher auferlegt werden können, wenn er den Vertrag widerrufen hat? Vgl. zu den bisher vertretenen Lösungen – auch unabhängig von einer richtlinienkonformen Auslegung – die Ausführungen im Vorlagebeschluss.
  • Vorlagebeschluss des BGH vom 14.1.2009 –  VIII ZR 70/08, Pressemitteilung vom 14.1.2009 : 1. Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 und 2 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, wonach der Verkäufer im Falle der Vertragswidrigkeit des gelieferten Verbrauchsgutes die vom Verbraucher verlangte Art der Abhilfe auch dann verweigern kann, wenn sie ihm Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut ohne die Vertragswidrigkeit hätte, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit unzumutbar (absolut unverhältnismäßig) wären? 2. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie dahin auszulegen, dass der Verkäufer im Falle der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Ersatzlieferung die Kosten des Ausbaus des vertragswidrigen Verbrauchsgutes aus einer Sache, in die der Verbraucher das Verbrauchsgut gemäß dessen Art und Verwendungszweck eingebaut hat, tragen muss?
    Im Fall geht es um die Kosten für Beseitigung mangelhafter Fliesen im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs. Bekanntlich hat der BGH in seinem Urteil vom 15.7.2008 – VIII ZR 211/07 (u.a. NJW 2008, 2837) einen Anspruch auf Kostenersatz für den Austausch  mangelhafter Parkettstäbe im Rahmen des Nacherfüllungsanspruchs abgelehnt. Nunmehr geht es um den verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch.

5 Antworten to “Bevorstehende examensrelevante BGH-Entscheidungen”


  1. 1 CandJur 12. Februar 2009 um 13:50

    Zu Fall Nr. 3:

    Soll der Arzt des Notfalldienstes – ich gehe mal davon aus, dass dieser von einem öffentlichen Träger und u.U. unterstützt aus den Ärztekammerbeiträgen bezahlt wird – wirklich im Sinne von § 831 BGB sozial abhängig zu jedem einzelnen Hausarzt in seinem Bezirk sein? Das kann ich so wie oben dargestellt erstmal nur schlecht nachvollziehen.

  2. 2 F. W. 12. Februar 2009 um 14:11

    Zu Fall Nr. 3: Leider gibt die Pressemitteilung zum Sachverhalt nicht mehr her und die Entscheidung des OLG München ist leider unveröffentlicht. Dieses hatte aber offenbar auch eine Verrichtungsgehilfenhaftung angenommen, denn in der Pressemitteilung heißt es: „Hierfür müssten die Beklagten zu 2 und 3 einstehen, weil er im Notfalldienst als ihr Erfüllungs- bzw. Verrichtungsgehilfe tätig geworden sei“. Die Presseabteilung selbst formuliert die Aufgabe des BGH etwas vorsichtiger: „Der Fall gibt dem Senat Gelegenheit, sich mit der Frage zu befassen, ob ein Arzt für Fehler eines anderen Arztes einstehen muss, der für ihn im Notfalldienst tätig wird“. Immerhin gibt es bereits eine differenzierte Rechtsprechung zur Verrichtungsgehilfeneigenschaft von Ärzten. Dabei wird ein Arzt, der wegen vorübergehender Abwesenheit zum Vertreter bestellt wird, durchaus als Verrichtungsgehilfe angesehen (BGH, NJW 1956, 1834, 1835; OLG Oldenburg, VersR 2003, 275). Soziale Abhängigkeit ist auch nicht erforderlich, entscheidend ist die Weisungsgebundenheit. Insofern käme es wohl auch darauf an, wie das Verhältnis zwischen der Ärzteschaft und den Notdienstärzten im konkreten Fall rechtlich ausgestaltet war. Hierüber schweigt die Pressemitteilung jedoch.

  3. 3 Karo 21. April 2010 um 19:59

    Nr. 2 VIII ZR 160/08 lief als erste Zivilrechtsklausur in der aktuellen Kampanie 1.2010/I

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